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Claus Roxin Catedrático de Derecho Penal Universidad de Munich Traducción de Miguel Olmedo Cardenete Pulse aquí para consultar la traducción al castellano
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SUMARIO:
A. Einleitung
B. Die «reine Sterbehilfe»
I. Die erwünschte
Schmerzlinderung ohne Lebensverkürzung
II. Schmerzlinderung gegen
den Willen des Patienten
III. Unterlassene Schmerzlinderung
entgegen dem Willen des Patienten
C. Die «indirekte Sterbehilfe»
I. Ihre grundsätzliche
Zulässigkeit
II. Tatbestandsausschluß
oder rechtfertigender Notstand?
III. Die zeitliche
Dimension der indirekten Sterbehilfe
IV. Nur Schmerzen oder
auch schwere Leidenszustände als Voraussetzung der indirekten Sterbehilfe?
V. Die Vorsatzform
bei der indirekten Sterbehilfe
D. Die passive Sterbehilfe
I. Die Nichtvornahme oder
Einstellung lebensverlängernder Maßnahmen auf Wunsch des Patienten
1. Der
Grundsatz: Es entscheidet allein der Patient
2. Gilt
für Suizidpatienten eine Ausnahme?
3. Der
technische Behandlungsabbruch als Unterlassen
4. Der
technische Behandlungsabbruch durch einen Nichtarzt
II. Die Unterlassung lebenserhaltender
Maßnahmen entgegen dem Wunsch des Patienten
1.
Die grundsätzliche Pflicht zur Lebensverlängerung
2.
Die Grenze der ärztlichen Behandlungspflicht
III. Die Unterlassung
lebenserhaltender Maßnahmen bei einem im Entscheidungszeitpunkt erklärungsunfähigen
Patienten
1.
Der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen während des
Sterbevorganges
2.
Der Behandlungsabbruch bei noch nicht Sterbenden, vor allem in den Fällen
des sog. apallischen Syndroms
a)
Die neueste Rechtsprechung und ihre Auswirkungen
b)
Die jüngste Rechtsprechung im Streit der Meinungen
E. Die aktive Sterbehilfe
I. Die Straflosigkeit der Beihilfe
zum Selbstmord
1.
Die Beschränkung der Straflosigkeit auf den verantwortlichen Selbstmord
2.
Die Abgrenzung von Suizidteilnahme und Tötung auf Verlangen
3.
Strafbarkeit wegen unterlassener Rettung des Suizidenten?
II. Die Tötung auf Verlangen
1.
Die herrschende Meinung; ausnahmslose Strafbarkeit
2.
Strafbarkeitseinschränkungen und abweichende Gesetzesvorschläge
in der Literatur
3.
Stellungnahme
G. Die «Vernichtung lebensunwerten Lebens»
Unter Sterbehilfe (Euthanasie) versteht man eine
Hilfe, die einem schwer erkrankten Menschen auf seinen Wunsch oder doch
mindestens im Hinblick auf seinen mutmaßlichen Willen geleistet wird,
um ihm einen seinen Vorstellungen entsprechenden menschenwürdigen
Tod zu ermöglichen
(1). Man kann dabei eine Sterbehilfe
im engeren und im weiteren Sinne unterscheiden. Eine Sterbehilfe
im engeren Sinne liegt vor, wenn die Hilfe geleistet wird, nachdem der
Sterbevorgang schon begonnen hat, der Tod also mit oder ohne Hilfe nahe
bevorsteht. Im weiteren Sinne läßt sich von Sterbehilfe
aber auch dann sprechen, wenn jemand beim Tode eines Menschen mitwirkt,
der zwar noch längere Zeit leben könnte, der aber - realiter
oder mutmaßlich - seinem ihm infolge der Krankheit unerträglich
erscheinenden Leben ein Ende setfen möchte. Beide Fälle
sollen im folgenden behandelt werden. Außerhalb der Sterbehilfe
liegen Sachverhalte, bei denen ein kranker Mensch unabhängig von seinem
Willen getötet oder durch Nicht- bzw. Nichtweiterbehandlung
dem Tode überlassen wird. Sie sollen hier ebenfalls kurz erörtert
werden, teils wegen des Sachzusammenhanges und der fließenden Übergänge
zur Sterbehilfe, teils, weil sie in der Erscheinungsform der sog.
Vernichtung lebensunwerten Lebens die Diskussion um die Sterbehilfe bis
heute belasten.
Die Beurteilung der Sterbehilfe gehört zu den
schwierigsten Problemen des Strafrechts. Das hat drei Gründe.
Erstens fehlt eine sie ausdrücklich behandelnde gesetzliche Regelung.
Die Mord- und Totschlagsparagraphen unseres StGB sind ersichtlich nicht
auf die Sterbehilfe zugeschnitten, oder sie erfassen, wie die Tötung
auf Verlangen (§ 216 StGB), nur einen Ausschnitt der Problematik in
einer Weise, die viele Fragen offenläßt. Zweitens sind
die existenziellen Probleme, um die es bei der Entscheidung über Leben
und Tod geht, rechtlich überhaupt kaum durch abstrakte Normen zu regeln;
denn das Recht lebt von typisierbaren Alltagssituationen und kann der individuellen
Einmaligkeit des Sterbevorganges durch seine notwendig verallgemeinernde
Begrifflichkeit nicht immer gerecht werden. Drittens wird eine Einigung
über das Erlaubte und Verbotene auch dadurch erschwert, daß
die Sterbehilfe keine Domäne der Strafrechtler ist. In diesem
Bereich beanspruchen - mit Recht Mediziner (2), Philosophen
(3), Theologen und Literaten (4) ein
Mitspracherecht, dessen Ausübung zwar einerseits die Debatte bereichert,
eine Einigung über die strafrechtliche Beurteilung aber durch viele
außerrechtliche und im weiteren Bereich der Publizistik auch widerstreitende
ideologische und weltanschauliche Prämissen kompliziert.
Gleichwohl hat die Diskussion der letzten 20 Jahre
in vielen Fragen wenigstens zu einer «herrschenden Meinung»,
zu grundlegenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und zu einer bedeutenden,
diese Entwicklungen einbeziehenden Modernisierung der von der Bundesärztekammer
zu diesem Thema verfaßten «Grundsätze»(5)
geführt. Ich werde im folgenden die sich daraus ergebenden,
für die Praxis leitenden Maßstäbe in den Vordergrund stellen
und die ggf. daran geübte oder zu übende Kritik anschließen.
Dabei verfahre ich so, daß ich nacheinander die durchaus verschiedenen
Sachverhalte behandele, um die es bei der Sterbehilfe und den mit ihr gemeinsam
zu behandelnden Konstellationen geht.
I. Die erwünschte Schmerzlinderung ohne Lebensverkürzung
Als «reine Sterbehilfe» kann man den Fall bezeichnen, daß einem Sterbenden schmerzlindernde Mittel ohne lebensverkürzende Wirkung verabreicht werden. Das ist selbstverständlich straflos, wenn es auf Wunsch oder doch mit Zustimmung des Patienten geschieht. Es ist ebenso straflos, wenn der Sterbende keine oder keine verantwortliche Willenserklärung mehr abgeben kann, die Schmerzlinderung aber, wie es in der Regel anzunehmen ist, seinem mutmaßlichen Willen entspricht. Die Fallgruppe verdiente wegen der insoweit eindeutigen Ergebnisse kaum eine Erwähnung, wenn sich nicht in den Fällen der entgegen dem Wunsch des Patienten geleisteten oder nicht geleisteten reinen Euthanasie die Beurteilung änderte und eine Strafbarkeit in Betracht käme.
II. Schmerzlinderung gegen den Willen des Patienten
Das gilt zunächst für den sicher seltenen, aber immerhin vorkommenden Fall, daß der Kranke sich die Injektion schmerzlindernder oder beruhigender Mittel verbittet, weil er seinen Tod bei möglichst klarem Bewußtsein erleben und nicht in ein sanftes Hinüberschlummern verwandelt sehen möchte. Er kann dafür theologische oder philosophische Gründe haben oder in höchstpersönlicher Weise einfach tapfer sein, noch mit nahestehenden Menschen kommunizieren oder seine Nachlaßangelegenheiten regeln wollen. Auf jeden Fall ist ein solcher Wunsch zu respektieren. Wird dem Sterbenden gleichwohl eine Injektion verabreicht, etwa weil der Arzt dessen Weigerung für unvernünftig hält, so ist das ein unerlaubter Eingriff in die Körperintegrität und damit nach § 221- StGB als Körperverletzung strafbar. Zwar wird bei Heileingrif'fen gegen den Willen des Patienten von einer verbreiteten Meinung, wenn auch nicht von der Rechtsprechung, der Tatbestand der Körperverletzung ausgeschlossen. Doch darum handelt es sich hier nicht, so daß die Strafbarkeit eindeutig ist.
III. Unterlassene Schmerzlinderung entgegen dem Willen des Patienten
Praktisch bedeutsamer ist der umgekehrte Fall, daß
eine Schmerzlinderung unterlassen oder nur unzureichend gewährt wird,
obwohl der Patient ausdrücklich darum bittet. Auch dieses Verhalten
ist in der Regel eine strafbare Körperverletzung, und zwar durch Unterlassen.
Denn die Garantenstellung des Arztes und naher Angehöriger (das Einstehenmüssen
i.S.d. § 13 StGB) erstreckt sich auch darauf, dem Patienten unnötiges
Leiden zu ersparen; und auch die Nichtbehebung oder Nichtverminderung von
Schmerzen ist eine Mißhandlung (§ 223 StGB). Fehlt im
Einzelfall eine Garantenstellung, kommt immer noch eine unterlassene Hilfeleistung
( § 323 c StGB) in Frage. Dies alles bedarf der Betonung, weil
die Schmerztherapie in Deutschland hinter dem internationalen Standard
zurückgeblieben ist und manchmal mit nur schwer verständlicher
Zurückhaltung betrieben wird (6). Die Erkenntnis,
daß die Schmerzlinderungspflicht durch eine Strafdrohung abgesichert
ist, könnte hier zu einem Wandel beitragen.
C. Die «indirekte Sterbehilfe»
I. Ihre grundsätzliche Zulässigkeit
Von indirekter Sterbehilfe spricht man, wenn bei einem todkranken Menschen schmerzlindernde Maßnahmen vorgenommen werden, obwohl sie den Eintritt des Todes beschleunigen können. Die Zulässigkeit einer solchen indirekten Sterbehilfe ist unbeschadet mancher Streitfragen im einzelnen - von der Literatur und auch von der ärztlichen Praxis seit langem anerkannt. Der Bundesgerichtshof hat erstmals im November 1996 in diesem Sinne entschieden. Es heißt im Leitsatz des Urteils (BGHST 42, 301): «Eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen wird bei einem Sterbenden nicht dadurch unzulässig, daß sie als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolgle den Todeseintritt beschleunigen kann». Ähnlich äußern sich die «Grundsätze» der Bundesärztekammer (7): «Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, daß eine möglicherweise unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf».Auch wenn über die prinzipielle Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe somit im wesentlichen Einigkeit besteht, sind doch die Begründung dieses Ergebnisses und auch die Reichweite ihrer Zulässigkeit nach wie vor umstritten.
II. Tatbestandsausschluß oder rechtfertigender Notstand?
Die Begründung macht deshalb Schwierigkeiten,
weil eine durch aktives Handeln herbeigeführte, vorsätzlich (nämlich
mindestens mit dolus eventualis, bedingtem Vorsatz) bewirkte Lebensverkürzung
in allen anderen Fällen als Totschlag (§ 212 StGB) oder Tötung
auf Verlangen (§ 216 StGB) zu beurteilen ist. Warum soll es
hier anders sein? Nach einer Meinung schließt die zulässige
indirekte Sterbehilfe schon den Tatbestand der §§ 212, 216 StGB
(also das Vorliegen einer Tötung) aus, weil sie sozialadäquat
ist und daher ihrem Sinngehalt nach diesen Bestimmungen nicht unterfällt.
Nach der anderen, heute überwiegenden Meinung liegt zwar eine Tötung
vor, aber sie ist wegen Einwilligung oder mutmaßlicher Einwilligung
straflos.
Der BGH (8) hat die Frage offengelassen.
Sie sollte aber beantwortet werden. Denn nur wenn eine der beiden
Lösungen als richtig erkannt wird, kann die dritte - und früher
auch vertretene - Annahme, daß eine strafbare Tötung vorliegt,
mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Für zutreffend halte ich
die heute herrschende Meinung (9). Denn die Sozialadäquanz,
der Sinngehalt oder der Schutzzweck einer Norm sind zu vage Kriterien zur
Begründung der Straflosigkeit von Tötungen, zumal da § 216
StGB, indem er die - doch häufig aufgrund von schmerzhaften Leiden
- erbetene Tötung zunächst einmal unter Strafe stellt, für
eine Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe unter dem Gesichtspunkt
des Tatbestandes keine Anhaltspunkte bietet.
Wenn die indirekte Sterbehilfe straflos ist, so
handelt es sich dabei um das nach dem Willen des Patienten zu bestimmende
Ergebnis einer Abwägung, bei der die Pflicht zur längstmöglichen
Lebenserhaltung ggf. hinter der Pflicht zur Leidensminderung zurücktritt.
Ein etwas kürzeres Leben ohne schwere Schmerzen kann wertvoller sein
als ein nicht sehr viel längeres, das von kaum erträglichen Schmerzen
begleitet wird. Kann der Patient seinen Willen noch äußern,
so ist dieser maßgebend. § 216 StGB steht dem nicht entgegen,
weil der Strafgrund dieser Vorschrift (Schutz vor Kurzschlußhandlungen
des Sterbewilligen, Tabuinteressen der Allgemeinheit) das ärztlich
begleitete Sterben nicht erfaßt (10). Kann der
Patient keine verantwortliche Entscheidung mehr kundgeben, kommt es auf
seinen mutmaßlichen Willen an. Bei dessen Bestimmung sind nicht
nur seine etwaigen früheren Äußerungen, sondern auch der
Grad der Todesnähe, die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß der
etwaigen Lebensverkürzung und die Schwere der zu erduldenden Leiden
in die Überlegungen einzubeziehen.
Herzberg (11), der sich neuerdings
noch wieder für die Ablehnung einer Tötung in solchen Fällen
eingesetzt hat, stützt sich auf die Annahme, es fehle eine Interessenkollision,
wie sie für Rechtfertigungsgründe erforderlich sei. An
einer längeren Lebenserhaltung bestehe in solchen Fällen kein
«Lebensinteresse des Betroffenen» und kein «Taburespektierungsinteresse
anderer Menschen». Jedoch ist auch ein unter Schmerzen sich
dem Ende näherndes Leben immer noch ein Rechtsgut und nicht etwa wertlos.
Auch der Betroffene steht in einer Abwägungssituation, bei der das
Ergebnis keineswegs von vornherein feststehen muß.
Es bleiben noch drei Streitfragen über die
Reichweite einer zulässigen indirekten Sterbehilfe.
III. Die zeitliche Dimension der indirekten Sterbehilfe
Die erste betrifft ihre zeitliche Dimension.
Der Bundesgerichtshof und die Grundsätze der Bundesärztekammer
sprechen nur von einem 'Sterbenden'. Das scheint mir zu eng.
Denn z.B. bei unheilbaren Krebserkrankungen können unzumutbare Schmerzen
auch Wochen und Monate vor dem Tode auftreten, also zu einem-Zeitpunkt,
in dem der Erkrankte noch nicht im Sterben liegt. Wirksame Schmerzmittel
müssen solchen Kranken auch dann verabreicht werden können, wenn
sie eine gewisse Gefahr der Todesbeschleunigung mit sich bringen und der
Patient dies in Kauf nimmt.
Der - von Juristen und Ärzten gemeinsam verfaßte
- AlternativEntwurf Sterbehilfe (12) hatte deshalb die
indirekte Euthanasie nicht auf Sterbende beschränkt, sondern auf "tödlich
Kranke' schlechthin erstreckt, wobei unter einer tödlichen Krankheit
eine solche verstanden wurde, «in deren tödlichen Verlauf ärztliches
Handeln nicht mehr entscheidend eingreifen kann». Diese auch
von der christlichen Ethik befürwortete Lösung kann über
den Standpunkt der Rechtsprechung und der Bundesärztekammer hinaus
auch schon dem geltenden Recht zugrunde gelegt werden.
IV. Nur Schmerzen oder auch schwere Leidenszustände
als Voraussetzung der indirekten Sterbehilfe?
Das zweite Problem betrifft die Frage, ob die zulässige
indirekte Sterbehilfe notwendig schwere Schmerzzustände bei Patienten
voraussetzt. Denn auch Erstickungsangst auslösende Atemnot und
ähnliche Zustände können unerträglich werden und ein
unter Umständen nicht risikoloses ärztliches Eingreifen erforderlich
machen. Man wird daher besser anstatt von Schmerzen, die freilich
den Regelfall darstellen, von «schweren, anders nicht zu behebenden
Leidenszuständen» ausgehen, wie es der Alternativ-Entwurf tut
(13). Auch die Grundsätze der Bundesärztekammer
sprechen zutreffend nur von einer «Linderung des Leidens».
V. Die Vorsatzform bei der indirekten Sterbehilfe
Drittens schließlich ist auch die für
die indirekte Sterbehilfeerforderliche Vorsatzform unklar und im Streit.
Nach älterer Auffassung kann nur ein dolus eventualis gerechtfertigt
werden, der Fall also, daß eine Lebensverkürzung infolge der
Schmerzbehandlung möglich, aber nicht sicher ist. In diesem
Sinne sprechen auch noch die neuen Grundsätze der Bundesärztekammer
davon, 'daß eine möglicherweise unvermeidbare Lebensverkürzung
gegebenenfalls hingenommen werden darf'.
Demgegenüber hat der Alternativ-Entwurf Sterbehilfe
auch den Fall von vornherein feststehender Lebensverkürzung in denBereich
erlaubter indirekter Sterbehilfe einbezogen (14).
Die Auffassung des BGH zu dieser Frage ist nicht
ganz deutlich. Er spricht davon (15), daß
eine «unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge
den Todeseintritt beschleunigen kann». Das Wort «kann»
spricht für eine Beschränkung auf den dolus eventualis (16),
das Wort «unvermeidbar» statt «möglicherweise unvermeidbar»
eher für die Einbeziehung des dolus directus. Eine solche Einbeziehung
liegt auch nach dem Sachverhalt des Falles näher, wonach die Angeklagten
beschlossen, die Patientin «nicht mehr in ein Krankenhaus zu bringen
und sie mit einer schnell verabreichten überdosis Dolantin zu töten».
Die praktische Bedeutung der Streitfrage ist nicht mehr groß,
weil die Schmerztherapie heute medizinisch so weit entwickelt ist, daß
sie nur noch selten mit Sicherheit (und selten auch überhaupt) zur
Lebensverkürzung führt (17). Es wird also schon
aus diesem Grunde in der Regel nur ein dolus eventualis vorliegen.
Wenn aber doch einmal eine Lebensverkürzung sicher ist, sollte daran
die Schmerztherapie nicht scheitern dürfen. Denn wenn die Beschleunigung
des Todes ggf. in Kauf genommen wird, sollte es keinen Unterschied machen,
ob das Gegebensein dieses Falles von vornherein feststeht oder sich erst
nachträglich zeigt (18).
Strafbar bleibt die «Sterbehilfe» dagegen,
wenn sie mit Tötungsabsicht vorgenommen wird, wenn also das Motiv
nicht die Leidensminderung, sondern die Tötung ist. In solchen
Fällen liegt auch bei ausdrücklichem Wunsch des Sterbenden eine
Tötung auf Verlangen vor (19). Das Motiv, das Opfer
von seinen Leiden zu erlösen, rechtfertigt also nicht. Im Einzelfall
kann sogar ein Mord vorliegen, wenn, wie in dem vom BGH entschiedenen Fall,
ein Täter das leidende Opfer tötet, um es «durch einen
schnellen Tod ... mittels eines gefälschten Testaments beerben zu
können».
Von passiver Sterbehilfe spricht man, wenn eine Betreuungsperson
- in der Regel der Arzt und seine Gehilfen, aber auch etwa ein Angehöriger
- es unterläßt, ein dem Ende sich zuneigendes Leben zu verlängern.
Es wird etwa auf eine Operation oder eine Intensivbehandlung, die dem Patienten
noch ein etwas längeres Leben ermöglicht hätten, verzichtet.
Dabei gibt es drei juristisch verschieden zu behandelnde Möglichkeiten:
Das Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen kann entweder
auf Wunsch des Patienten oder gegen seinen Willen geschehen; der dritte
Fall ist der, daß der Patient nicht mehr in der Lage ist, sich zu
äußern.
I. Die Nichtvornahme oder Einstellung lebensverlängernder Maßnahmen auf Wunsch des Patienten
1. Der Grundsatz: Es entscheidet allein der Patient
In solchen Situationen ist die Rechtslage prinzipiell klar. Es tritt Straflosigkeit ein, weil es unzulässig ist, einen Patienten gegen seinen Willen zu behandeln. Wenn also jemand anläßlich einer Krebserkrankung eine lebensverlängernde Operation verweigert (wie z.B. im viel diskutierten und literarisch dokumentierten Fall des Strafrechtslehrers Peter Noll) (20), muß sie unterbleiben. Häufig kommt es vor, daß alte, kranke und vor dem Tode stehende Menschen eine Behandlung auf der Intensivstation, die den Tod noch ein wenig hinauszögern würde, ablehnen. Das muß respektiert werden. Der Wille des Patienten ist selbst dann entscheidend, wenn er nach objektivem Urteil falsch und vom Standpunkt mancher Beurteiler aus sogar unverantwortlich ist. Auch wenn also eine Mutter von vier Kindern aus religiösen Gründen den Ärzten verbietet, bei ihr eine lebensrettende Bluttransfusion vorzunehmen - der Fall ist wirklich vorgekommen (21), müssen die Ärzte sich dem beugen und die Frau sterben lassen.
2. Gilt für Suizidpatienten eine Ausnahme?
Die einzige Ausnahme hat der Bundesgerichtshof bei
Suizidpatienten gemacht. In dem 1984 entschiedenen berühmten
Fall Wittig hatte eine 76jährige schwerkranke und nach dem Tode ihres
Mannes lebensmüde Frau ihrem Leben durch eine überdosis Morphium
und Schlaftabletten ein Ende setzen wollen. Sie hinterließ
neben anderen Texten von gleichem Sinngehalt ein Schriftstück, in
dem es hieß: «Im Vollbesitz meiner Sinne bitte ich meinen Arzt
keine Einweisung in ein Krankenhaus oder Pflegeheim, keine Intensivstation
und keine Anwendung lebensverlängernder Medikamente. Ich möchte
einen würdigen Tod sterben». Der Hausarzt kam hinzu, als sie
schon bewußtlos war, aber noch lebte. Er unterließ eine
Einweisung ins Krankenhaus und wartete in der Wohnung, bis der Tod der
alten Frau eintrat. Der BGH hat den Arzt (Wittig) zwar im Ergebnis
freigesprochen; aber nur deshalb, weil die Patientin im Falle ihrer Rettung
schwer und irreversibel geschädigt geblieben wäre und in einem
solchen Falle die ärztliche Gewissensentscheidung, von der Einweisung
in eine Intensivstation abzusehen, vertretbar sei. Im Regelfall sei
es aber für den Arzt «grundsätzlich unzulässig»,
sich dem «Todeswunsch des Suizidenten» zu beugen (22).
Die Begründung des Urteils hat in der Literatur
weitgehende Ablehnung gefunden (23), und dies mit Recht.
Wenn der BGH darauf hinweist, daß Suizidenten oft nicht in verantwortlichem
Zustand handeln und ihr Tun im Falle einer Rettung in wieder normaler Gemütsverfassung
nicht selten bereuen, so wird man freilich, wenn eine psychische Störung
erkennbar ist, eine Rettungs- und Behandlungspflicht bejahen müssen.
Ist dies aber nicht der Fall oder gar, wie beim Sachverhalt unseres Urteils,
mit Sicherheit auszuschließen, gibt es keinen rationalen Grund, die
autonome Willensentscheidung des Patienten nicht auch beim Suizid zu respektieren.
Die sittliche, meist aus religiösen Vorgaben hergeleitete Mißbilligung
des Freitodes, aus der der BGH ursprünglich die Unbeachtlichkeit jedes
Selbstmordentschlusses hergeleitet hatte (24), kann eine
solche Folgerung in einer Rechtsordnung, die keinen Glaubens- und Gewissenszwang
kennt, nicht tragen.
Im übrigen kann ein Patient natürlich
auch den unabhängig von jedem Suizid gefaßten Entschluß,
eine Behandlung zu verweigern, zu einem Zeitpunkt bereuen, an dem es für
eine Rettung zu spät ist. Wenn das an der Straflosigkeit der
passiven Euthanasie nichts ändert, kann dasselbe Argument beim Suizid
vernünftigerweise nicht zum entgegengesetzten Ergebnis führen.
Es gibt Anzeichen dafür, daß auch die Rechtsprechung sich dieser
Ansicht mit der Zeit anschließen wird (25).
3. Der technische Behandlungsabbruch als Unterlassen
Man wird also die dem verantwortlichen Willen des
Patienten entsprechende passive Euthanasie in jedem Falle zulassen müssen.
Ein Fall dieser Art, und damit komme ich zu einem weiteren vieldiskutierten
Problem, liegt auch dann vor, wenn das auf eine Unterlassung weiterer Behandlung
gerichtete Verhalten mit einem aktiven Tun verknüpft ist. Der
klassische Fall ist der, daß ein Beatmungsgerät auf den Wunsch
des Patienten abgeschaltet wird. Der Druck auf den Schaltknopf ist
ein Tun. Trotzdem handelt es sich dabei nicht um eine grundsätzlich
als Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) strafbare aktive Euthanasie.
Denn nach seiner sozialen Bedeutung stellt sich der Vorgang als eine Einstellung
der Behandlung und damit als ein Unterlassen weiterer Tätigkeit dar.
Die Grenze zwischen strafbarer aktiver und strafloser passiver Euthanasie
ist also nicht naturalistisch nach der Vornahme oder Nichtvornahme von
Körperbewegungen zu ziehen. Vielmehr kommt es normativ darauf
an, ob ein Tun als Behandlungseinstellung zu deuten ist. Dann liegt
im juristischen Sinn ein Unterlassen vor, das, wenn es auf dem Willen des
Patienten beruht, straflos ist.
Die Meinung, die den sog. technischen Behandlungsabbruch
als Unterlassen beurteilt, ist heute herrschend (26).
Aber auch die Autoren, die darin ein Begehungsverhalten sehen, kommen durchweg
zum Ergebnis der Straflosigkeit, indem sie mit verschiedenen Begründungen
annehmen, daß ein solches Verhalten dem Schutzzweck der Tötungstatbestände
nicht unterfalle (27). Mit Recht sagt Eser (28),
es könne jedenfalls im Ergebnis kein Zweifel sein, «daß
dort, wo ein medikamentös-therapeutischer Behandlungsabbruch zulässig
wäre, auch der technische Behandlungsabbruch zulässig sein muß».
In der Sache besteht also weitgehend Einigkeit.
4. Der technische Behandlungsabbruch durch einen Nichtarzt
Ein Behandlungsabbruch der geschilderten Art ist
normalerweise Sache des Arztes. Er kann im Einzelfall aber auch von
einer Privatperson vorgenommen werden. Ein bewegendes Beispiel dafür
liefert eine Entscheidung des LG Ravensburg aus dem Jahre 1987 (29).
Hier hatte ein Mann seine an fortschreitender Lähmung erkrankte Frau
unter Aufgabe seines Berufes aufopfernd gepflegt. Schließlich
kam sie als Sterbende ins Krankenhaus, wo sie an ein künstliches Beatmungsgerät
angeschlossen wurde. Sie empfand das als «unerträgliche
Quälerei» und verfaßte mit Hilfe einer elektrischen Spezialschreibmaschine,
mit der allein sie sich noch verständlich machen konnte, im «Vollbesitz
ihrer Geisteskräfte», wie sie schrieb, folgende Erklärung:
«Ich möchte sterben, weil mein Zustand nicht mehr erträglich
ist. Je schneller, desto besser. Dies wünsche ich mir
von ganzem Herzen». Daraufhin schaltete der Ehemann, der sich im
Krankenzimmer aufhielt, in einem unbeobachteten Augenblick das Gerät
aus und umsorgte die Frau, bis nach einer Stunde der Tod infolge Herzstillstandes
eintrat.
Würde man diesen Fall als Tötung durch
aktives Handeln beurteilen, so läge eine strafbare Tötung auf
Verlangen vor (§ 216 StGB). Sieht man dagegen den «technischen
Behandlungsabbruch» als eine mit Zustimmung des Patienten erfolgte
passive Sterbehilfe an, so ist der Ehemann straflos. Daß diese
im Ergebnis auch vom LG Ravensburg vertetene Lösung richtig ist, scheint
mir nicht zweifelhaft. Sie entspricht dem, was der Alternativ-Entwurf
Sterbehilfe in dem vorgeschlagenen § 214 StGB ausdrücklich formuliert
hatte: «Wer lebenserhaltende Maßnahmen abbricht oder unterläßt,
handelt nicht rechtswidrig, wenn der Betroffene dies ausdrücklich
und ernstlich verlangt». Allerdings läßt sich das auch
aus dem geltenden Recht schon in der geschehenen Weise begründen.
II. Die Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen
entgegen dem Wunsch des Patienten
1. Die grundsätzliche Pflicht zur Lebensverlängerung
Im umgekehrten Fall, daß eine Behandlung oder
Weiterbehandlung unterbleibt, obwohl der Patient sie wünscht, liegt
eine Tötung durch Unterlassen vor, wenn die Untätigkeit zum Tode
oder zu früherem Tode des Patienten geführt hat und der Unterlassende
eine Garantenstellung einnimmt, wie es bei Ärzten und nahen Angehörigen
in der Regel der Fall ist. Fehlt es an einer Garantenstellung, kommt
immer noch eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung (§
323 c StGB) in Frage.
Der Patient muß also z.B. auf die Intensivstation
gebracht werden, wenn er dies wünscht und dadurch zwar keine Besserung,
aber doch eine Lebensverlängerung erreicht werden kann. Ob der
Arzt das letztlich im Interesse des Patienten für sinnvoll hält
oder nicht, kann nicht entscheidend sein. Dagegen darf er sich Wünschen
verweigern, deren Erfüllung nicht zur Lebensverlängerung beiträgt
und auch sonst das Los des Patienten - etwa durch Schmerzlinderung - nicht
verbessern kann. Denn eine sinnlose Geschäftigkeit kann vom
Arzt nicht verlangt werden und würde ihn von seinen eigentlichen Aufgaben
abziehen.
2. Die Grenze der ärztlichen Behandlungspflicht
Abgesehen davon muß es aber für die künstliche
Lebensverlängerung irgendwo eine Grenze geben, jenseits deren auch
der - meist in einem früheren Stadium der Erkrankung geäußerte
- Wille des Patienten nicht mehr entscheidend sein kann. Denn die
technischen und auch die finanziellen Ressourcen unseres Gesundheitswesens
sind nicht unerschöpflich. Vor allem entspricht es auch nicht
unseren Vorstellungen von einem menschenwürdigen Tod, den unaufhaltsamen
Sterbevorgang mit Hilfe der modernen Apparatemedizin immer weiter hinauszuziehen.
Als Leitlinie kann ein Diktum des Bundesgerichtshofs
(BGHSt 32, 379/80) gelten, wonach es «keine Rechtsverpflichtung zur
Erhaltung eines erlöschenden Lebens um jeden Preis gibt. Maßnahmen
zur Lebensverlängerung sind nicht schon deswegen unerläßlich,
weil sie technisch möglich sind. Angesichts des bisherige Grenzen
überschreitenden Fortschritts medizinischer Technologie bestimmt nicht
die Effizienz der Apparatur, sondern die an der Achtung des Lebens und
der Menschenwürde ausgerichtete Einzelfallentscheidung die Grenze
ärztlicher Behandlungspflicht». Das läßt einen gewissen
Spielraum, der durch generalisierende Regeln nicht auszufüllen ist.
Immerhin wird sich sagen lassen, daß nicht ökonomische Gesichtspunkte
im Vordergrund stehen sollten, sondern die Überlegung, ob eine Verlängerung
der Agonie bei objektiver Beurteilung für den Patienten noch irgendeinen
Sinn haben kann.
III. Die Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen
bei einem im Entscheidungszeitpunkt erklärungsunfähigen Patienten
1. Der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen während
des Sterbevorganges
Die Fälle entscheidungsunfähiger Patienten bilden den schwierigsten und umstrittensten Bereich im Rahmen der passiven Sterbehilfe. Allerdings liegt das Problem nicht auf dem Feld der Sterbehilfe im engeren Sinne, bei der der Sterbevorgang schon eingesetzt hat, der Tod also nahe bevorsteht. Hier gestattet der BGH, jedenfalls wenn der Patient dauernd entscheidungsunfähig geworden ist, einen Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen wie Beatmung, Bluttransfusion oder künstliche Ernährung (30). Das steht in Übereinstimmung mit dem, was über eine Behandlungseinstellung während des Sterbevorganges selbst gegen den vorher erklärten Willen des Patienten schon ausgeführt wurde.
2. Der Behandlungsabbruch bei noch nicht Sterbenden, vor allem in den Fällen des sog. apallischen Syndroms
a) Die neueste Rechtsprechung und ihre Auswirkungen
Ungelöste Streitfragen ergeben sich erst, wenn
die Behandlung eingestellt wird, obwohl der schwerkranke Patient noch nicht
im Sterben liegt, sondern noch Monate oder Jahre leben könnte, aber
nicht mehr erklärungsfähig ist. Der klassische Fall ist
der, daß der schwerkranke Patient das Bewußtsein irreversibel
verloren hat. Man spricht hier von einem apallischen Syndrom (oder
auch Wachkoma), bei dem die Großhirnrinde, das Pallium, bei erhaltener
Funktion des Stammhirns endgültig ausfällt.
Für die Beurteilung solcher Fälle in der
Praxis maßgebend ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom
September 1994 (BGHSt 40, 257), die durch eine zivilrechtliche Entscheidung
des OLG Frankfurt vom Juli 1998 (31) im wesentlichen
bestätigt worden ist. In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um
eine «schwerst cerebral geschädigte» alte Frau, die seit
Ende 1990 nicht mehr ansprechbar, geh- und stehunfähig war, künstlich
ernährt werden mußte und auf optische, akustische und Druckreize
nur mit Gesichtszuckungen oder Knurren reagierte; Anzeichen für Schmerzempfinden
bestanden nicht. Anfang 1993 wiesen der behandelnde Arzt und der
zum Pfleger (Betreuer) bestellte Sohn das Pflegepersonal an, die künstliche
Ernährung ab 15.3. auf Tee umzustellen, was mangels Nahrungszufuhr
zum baldigen Tode der Patientin geführt hätte. Der Pflegedienstleiter
hatte Bedenken gegen dieses Verfahren und wandte sich an das Vormundschaftsgericht,
das die Einstellung der künstlichen Ernährung untersagte.
Die Patientin starb dann neun Monate später an einem Lungenödem.
Das hier interessierende Rechtsproblem ist, ob die
beiden Hintermänner (Arzt und Sohn) aufgrund ihres Verhaltens wegen
versuchten Totschlages zu bestrafen sind. Der BGH würdigt die
Einstellung der Ernährung mit Recht als Unterlassen. Eine Garantenstellung
von Arzt und Sohn ist zu bejahen. Eine Sterbehilfe im engeren Sinne
liege nicht vor, so daß die für diesen Fall genannten Grundsätze
(vgl. D II 2) keine Straffreiheit begründen könnten.
Doch sei auch vor dem Einsetzen des Sterbevorganges das Selbstbestimmungsrecht
des Patienten zu achten. Ein Behandlungsabbruch sei deshalb dann,
aber auch nur dann zulässig, wenn er dem mutmaßlichen Willen
des entscheidungsunfähigen Patienten entspreche. Von dem zum
Pfleger bestellten Sohn verlangt der BGH außerdem noch in entsprechender
Anwendung des § 1904 BGB, der unmittelbar nur von riskanten Untersuchungen
und Behandlungen spricht, die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts einzuholen.
Da auch das Gericht nach dem mutmaßlichen Willen entscheiden muß,
bleibt aber auch insoweit die materielle Rechtfertigung von diesem Kriterium
abhängig.
Bei der Festlegung des mutmaßlichen Willens
legt der BGH strenge Maßstäbe an. Es seien frühere
mündliche oder schriftliche Äußerungen des Kranken ebenso
zu berücksichtigen wie seine religiöse Überzeugung, seine
sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung
oder das Erleiden von Schmerzen. Im Zweifel habe der Schutz des menschlichen
Lebens Vorrang vor den persönlichen Überlegungen des Arztes oder
der Angehörigen. Der Umstand, daß die Patientin acht oder
zehn Jahre vorher unter dem Eindruck einer Fernsehsendung, in der ein ähnlicher
Fall behandelt worden war, gesagt hatte, «so wolle sie nicht enden»,
erschien dem BGH nicht als tragfähige Grundlage für einen Behandlungsabbruch.
Es hätte danach nahegelegen, daß die beiden Angeklagten in der
unteren Instanz, an die der Fall zurückverwiesen wurde, verurteilt
worden wären. Doch ist das LG Kempten zu einem Freispruch gekommen,
weil es weitere tatsächliche Anhaltspunkte für einen mutmaßlichen
Sterbewillen der Komapatientin gefunden hat (32).
Auf derselben Linie liegt die erwähnte zivilrechtliche
Entscheidung des OLG Frankfurt vom Juli 1998. Sie hat mit dem umstrittenen
Analogieschluß aus § 1904 BGB die Entscheidung grundsätzlich
dem Vormundschaftsgericht zugewiesen, das den mutmaßlichen Willen
zu erforschen und dementsprechend zu bestimmen hat, ob die Behandlung fortgesetzt
werden soll oder nicht.
Die geschilderte Rechtsprechung bringt drei wesentliche
Klärungen und Neuerungen:
Erstens macht sie deutlich, daß auch bei irreversiblem
Bewußtseinsverlust die Behandlung nicht ohne weiteres eingestellt
werden darf. Noch der Alternativ-Entwurf Sterbehilfe hatte gesagt
(§ 214 I Nr. 2): «Wer lebenserhaltende Maßnahmen
abbricht oder unterläßt, handelt nicht rechtswidrig, wenn der
Betroffene nach ärztlicher Erkenntnis das Bewußtsein unwiederbringlich
verloren hat», wobei er davon ausgegangen war, daß dies in
der Regel dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen entsprechen werde
(33). Es wird nach der neueren Judikatur auch in solchen
Fällen nötig sein, nach konkreten Anhaltspunkten für den
mutmaßlichen Willen zu forschen.
Zweitens wird die Entscheidung den Angehörigen
und den Ärzten aus der Hand genommen und dem Vormundschaftsgericht
übertragen. Das entlastet sie von einer schwer tragbaren Verantwortung
und «gewährleistet ein höheres Maß an Objektivität
und Rationalität als die Entscheidung durch die unmittelbar an der
Behandlung beteiligten Personen»
(34).
Drittens wird diese Rechtsprechung den schriftlichen
Patientenverfügungen, die lange Zeit als wenig maßgeblich angesehen
wurden, einen außerordentlichen Bedeutungszuwachs bescheren (35).
Denn eine schriftliche Bestimmung, ob und wie lange der Patient bei dauernder
Entscheidungsunfähigkeit im Falle einer tödlichen Erkrankung
weiterbehendelt werden will, ist das verläßlichste indiz für
seinen mutmaßlichen Willen. Wird diese Verfügung jährlich
erneuert (d.h. neu unterzeichnet), wird man kaum je zu dem Ergebnis kommen
können, daß der Patient, wenn man ihn noch befragen könnte,
in Wirklichkeit doch etwas anderes wollen würde. Auch die Grundsätze
der Bundesärztekammer sagen nun (36):
«Patientenverfügungen sind verbindlich, sofern sie sich
auf die konkrete Behandlungssituation beziehen und keine Umstände
erkennbar sind, daß der Patient sie nicht mehr gelten lassen würde».
Auch im übrigen werden Patientenverfügungen als «eine wesentliche
Hilfe für das Handeln des Arztes» bezeichnet.
b) Die jüngste Rechtsprechung im Streit der Meinungen
Die geschilderte Entwicklung hat in der juristischen
und medizinischen Literatur überwiegend Zustimmung gefunden.
Auch die neuen Grundsätze der Bundesärztekammer liegen
auf der Linie der Rechtsprechung und versuchen deren Akzeptanz noch dadurch
zu erleichtern, daß sie auf die Begriffe der passiven Sterbehilfe
und des Behandlungsabbruchs verzichten und in etwas beschönigender
Weise von einer «Änderung des Therapiezieles» sprechen.
Bei fortgeschrittener Krankheit könne auch bei Wachkoma-Patienten
«eine Änderung des Therapiezieles und die Unterlassung lebenserhaltender
Maßnahmen in Betracht kommen»
(37).
Obwohl die Grundsätze der Bundesärztekammer
keine rechtliche Bindungswirkung erzeugen und auch die praktische Bedeutung
von Gerichtsentscheidungen nicht erreichen, haben sie sogleich heftige
Auseinandersetzungen ausgelöst, die der Sache nach natürlich
auch und vor allem die neuere Rechtsprechung betreffen. Dabei machen
sich die Fundamentalisten des Lebensschutzes als Kritiker der Grundsätze
besonders nachdrücklich bemerkbar. Der (damals noch amtierende)
Bundesjustizminister (Schmidt-Jortzig) meinte
(38), die
in den «Grundsätzen» festgeschriebene Möglichkeit,
«aufgrund eines mutmaßlich ermittelten Patientenwillens lebensverlängernde
Maßnahmen zu unterlassen, berühre unmittelbar das grundgesetzliche
Prinzip des Lebensschutzes. Entscheidungen von solcher Tragweite
dürfe nur der Gesetzgeber treffen». Die CSU-Politikerin Hohlmeier
äußerte sich im selben Sinne: Die Ärzte dürften nicht
vor einem Gesetzgebungsverfahren festlegen, wer mit welchen lebensrettenden
Maßnahmen rechnen dürfe. Die Deutsche Hospizstiftung (39),
deren Stiftungsrat Hohlmeier angehört, hält die Beendigung der
Behandlung bei Menschen, die noch nicht im Sterben liegen, für eine
«Tötung auf vermutetes Verlangen» und beurteilt diese
als strafbar, da schon die Tötung auf Verlangen unter Strafe gestellt
sei.
Andererseits haben sich in der Wissenschaft schon
aufgrund der maßgebenden BGH-Entscheidung von 1994 (BGHSt 40, 257
ff.) Stimmen erhoben, die einen Behandlungsabbruch in weitergehendem Maße
zulassen wollen. So vertritt Merkel(40) die Ansicht,
bei Apallikern dürfe die Behandlung auch dann abgebrochen werden,
wenn jeder Anhaltspunkt für ihre frühere Einstellung fehle.
Denn es spreche nicht nur eine starke Vermutung dafür, daß der
Patient damit einverstanden sein werde (41), auch unser
Menschenbild lege es dringend nahe, «nicht eine rein biologistische
Auffassung von Lebensschutz durchzusetzen und die Erhaltung eines vollständig
und irreversibel empfindungslosen Körpers, dessen früheres personales
Subjekt nicht mehr existiert, mit dem Totschlagsparagraphen zu erzwingen».
Ähnlich sagt der Rechtsphilosoph Hoerster (42):
«Nicht 'Im Zweifel für den Schutz des Lebens', sondern 'Im Zweifel
gegen eine (lebens)verlängernde Behandlung' muß die oberste
Devise lauten». Er leitet das her aus der Annahme, daß nicht
der Abbruch der Behandlung, sondern die Weiterbehandlung bei entscheidungsunfähigen
und unheilbar kranken Patienten einer mutmaßlichen Einwilligung bedürfe.
Könne ein mutmaßlicher Wille zur Weiterbehandlung nicht ermittelt
werden, könne von ihm auch nicht ausgegangen werden.
Wägt man die widerstreitenden Meinungen gegeneinander
ab, so wird man bei einer rationalen Analyse eher der zuletzt genannten,
abbruchsfreundlichen Ansicht Recht geben müssen. Denn der für
immer bewußt- und empfindungslose Apalliker kann, wenn er einmal
in diesen Zustand geraten ist, keine Interessen mehr haben; diese setzen
die Möglichkeit personaler Entscheidung voraus. Freilich kann
er, als er noch bei Bewußtsein war, ein Interesse daran gehabt haben,
auch im Falle eines irreversiblen Wachkomas so lange wie möglich am
Leben erhalten zu werden. Aber dieses Interesse ist nicht sehr überzeugend
begründbar, weil ein bewußt- und empfindungsloses, rein biologisches
Existieren für den Betroffenen keinen Sinn und Nutzen mehr haben kann
(43).
Ungeachtet dessen scheinen mir die Standpunkte beider
Seiten und vor allem der des uneingeschränkten Lebensschutzes - durch
irrationale Ängste bestimmt zu sein. Sie führen zu einer
emotionalen Besetzung des Themas, die eine nüchterne Abwägung
kaum noch gestattet. Die strikten Abbruchsgegner leben unter dem
Druck der nicht zu beschwichtigenden Angst, eine Behandlung könnte
aus Irrtum und Nachlässigkeit oder aus mißbräuchlichen,
etwa ökonomischen Gründen eingestellt werden, bevor die letzte
Hoffnung eines Erwachens aus dem Koma erloschen ist, und sie neigen dazu,
diese Hoffnung niemals aufzugeben. Diejenigen, die im Zweifel für
einen Abbruch der Behandlung plädieren, leiden unter der für
sie schrecklichen, ja unerträglichen Vorstellung, ggf. jahrelang als
eine Art lebender Leichnam zum Objekt der Apparatemedizin zu werden.
Das Strafrecht kann die soziale Realität derartiger
Ängste nicht ignorieren; denn sie beeinträchtigen das Gefühl
selbstbestimmten Lebens und Sterbens, das ein Rechtsstaat gewährleisten
soll. Deshalb erscheint mir der Weg der Rechtsprechung mit einer
gleich zu erklärenden Modifikation als grundsätzlich richtig.
Indem die Judikatur auf das Selbstbestimmungsrecht und damit auf den mutmaßlichen
Willen abstellt, gibt sie jedem Gelegenheit, durch eine klar formulierte,
jährlich zu erneuernde Patientenverfügung seine höchstpersönliche
Vorstellung von einer menschenwürdigen Behandlung so weit wie möglich
zur Richtschnur ärztlichen Verhaltens zu machen. Hat er auf
die Abfassung einer Patientenverfügung verzichtet, ist sein mutmaßlicher
Wille zwar immer noch anhand anderer Indizien zu erforschen, aber deren
in der Regel geminderte Eindeutigkeit wird dadurch erträglich, daß
der Verzicht des noch entscheidungsfähigen Patienten auf eine dezidierte
Meinungsäußerung auf ein geringeres Interesse an der Problematik
schließen läßt. Bleibt in solchen Fällen das
Ergebnis unklar, sollte man freilich nicht - und darin unterscheide ich
mich sowohl vom BGH wie von der entgegengesetzten Meinung Merkels und Hoersters
- nach dem Motto «in dubio pro vita» ad infinitum weiterbehandeln
und auch nicht nach der These «in dubio contra vitam» stets
abbrechen. Vielmehr sollte man aufgrund der gewichtigeren Indizien
entscheiden. Dieses Verfahren würde in dem vom BGH entschiedenen
Fall einen Behandlungsabbruch nahelegen. Denn das schon mehr als
zweijährige vergebliche Bemühen um die alte Frau, ihr gänzlich
hoffnungsloser Zustand («schwerste» Cerebralschädigung)
und ihre frühere Äußerung, so wolle sie nicht enden, sprechen
doch eher für ihren Wunsch, daß beim Eintritt einer solchen
Situation die Behandlung abgebrochen werden solle. Der schließliche
Freispruch durch das LG Kempten (44) ist also im Ergebnis
unabhängig davon zu billigen, ob noch zusätzliche Indizien für
den mutmaßlichen Sterbewillen der Patientin aufzufinden waren.
Strittig ist inzwischen auch die Frage, ob ein Behandlungsabbruch,
wenn er vom mutmaßlichen Willen des Patienten gedeckt ist, durch
Einstellung der künstlichen Ernährung erfolgen darf. Kritiker
sprechen hier von einem «Verhungernlassen», das sie anders
als die Einstellung sonstiger lebenserhaltender Maßnahmen für
schlechthin unzulässig halten. Der Bundesgerichtshof und das
OLG Frankfurt haben diese Einschränkung nicht vorgenommen, und das
mit Recht. Denn Beatmung, Ernährung oder Medikamentenzuführung
sind in solchen Fällen gleichermaßen notwendige und «künstliche»
Formen der Lebensverlängerung. Für ihre unterschiedliche
Behandlung gibt es keinen überzeugenden Grund. Daß bei
etwa noch vorhandenem Schmerzempfinden eine schmerzfreie und auch im übrigen
möglichst schonende Form der Behandlungseinstellung gewählt werden
muß, versteht sich, betrifft aber jede denkbare Art und Weise des
Behandlungsabbruchs; so muß z.B. stets eine weitere Flüssigkeitszufuhr
zur Vermeidung schmerzhafter Austrocknung erfolgen.
Es entspricht der durchaus überwiegenden, wenngleich
de lege lata und de lege ferenda nicht unumstrittenen Meinung (vgl. näher
E II), daß die aktive Sterbehilfe im Sinne einer Tötung Sterbender
oder Schwerkranker nach geltendem Recht unzulässig und strafbar ist.
Das wird aus § 216 StGB abgeleitet, der die Tötung auf Verlangen
unter - freilich gemilderte - Strafe stellt. Doch sollte man sich
von vornherein klarmachen, daß dieser Grundsatz nur mit drei Einschränkungen
gilt, von denen zwei schon erörtert worden sind. Die erste Einschränkung
liegt in der Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe (oben C), die
eine aktive Tötung im Rahmen einer Schmerztherapie darstellt.
Die zweite liegt beim technischen Behandlungsabbruch
vor, wenn dieser bestimmte aktive Handlungen voraussetzt (oben D I 3),
auch wenn das Gesamtgeschehen als Unterlassung gewürdigt wird.
Die dritte und einschneidendste Einschränkung liegt darin, daß
eine aktive Sterbehilfe straflos ist, wenn sie sich als Beihilfe zum Selbstmord
darstellt. Dieser Fall bedarf zunächst näherer Erörterung.
I. Die Straflosigkeit der Beihilfe zum Selbstmord
Nach deutschem Recht ist - anders als nach vielen
anderen Rechtsordnungen - die Beihilfe zum Selbstmord straflos. Jede
Beihilfe setzt die rechtswidrige Haupttat eines Täters voraus.
Da der Selbstmord nicht unter den Tatbestand der Tötungsdelikte fällt,
die die Tötung eines anderen voraussetzen (45),
gibt es auch keine Beihilfe zu diesem nicht existierenden Delikt.
Wer also einem schwer leidenden Menschen, der aus dem Leben scheiden will,
den Freitod ermöglicht, indem er ihm Gift oder eine Pistole zur Verfügung
stellt, kann strafrechtlich nicht belangt werden. Der anschaulichste
Fall aus der Rechtsprechung ist der des Arztes Hackethal, der im Jahre
1984 einer «schwerstkranken», an einem auf das Gehirn übergreifenden
unheilbaren Gesichtskrebs leidenden Frau ein Gift (Kaliumcyanid) gegeben
hatte. Die Patientin hatte dieses Gift mit Wasser vermischt getrunken
und war daraufhin nach kurzer Zeit ohne erkennbaren Todeskampf sanft entschlafen.
Die von der Staatsanwaltschaft betriebene Anklage wegen strafbarer Tötung
auf Verlangen (§ 216 StGB) ist vom LG Traunstein wie auch vom OLG
München zurückgewiesen worden (46).
Allerdings wirft die Abgrenzung der straflosen Suizidteilnahme
von der strafbaren Tötung zahlreiche Streitfragen auf, von denen hier
nur die drei wichtigsten in knapper Form behandelt werden können (47).
1. Die Beschränkung der Straflosigkeit auf den verantwortlichen Selbstmord
Unstrittig ist zunächst, daß eine Straflosigkeit
des Außenstehenden nur bei einem «verantwortlichen» Selbstmord
eintritt. Wer also einem aufgrund einer Psychose selbstmordgefährdeten
Menschen zur Selbsttötung verhilft, ist stets als Täter eines
Totschlages (§ 212 StGB) oder ggf. sogar Mordes (§ 211 StGB)
zu bestrafen.
Umstritten ist aber, unter welchen Voraussetzungen
man noch von einem verantwortlichen Selbstmord sprechen kann (48).
Während die eine Partei auf die strafrechtlichen Regeln der Schuldunfähigkeit
verweist, stellt die andere auf die Grundsätze ab, die für die
Wirksamkeit einer Einwilligung oder eines ernstlichen Verlangens im Sinne
des § 216 StGB gelten. Sie hält den Selbstmord schon dann
nicht mehr für verantwortlich, wenn er übereilt, unüberlegt
oder aus einer momentanen Verstimmung heraus begangen wird. Das führt
zu einer sehr viel weitergehenden Strafbarkeit der Beteiligten.
Ich habe immer die strengere, auf die Regeln der
Zurechnungsfähigkeit abstellende Meinung vertreten, weil ein Rekurs
auf Einsicht und Besonnenheit des Suizidenten eine Rechtsunsicherheit schafft,
die im Grenzbereich von Tötungsstrafbarkeit und Straflosigkeit unerträglich
ist. Allerdings reduziert sich die Bedeutung des Streits wesentlich
bei unserem Thema, bei dem es um die Mitwirkung am Suizid schwerkranker
und sterbewilliger Menschen geht. Denn wenn ein solcher Mensch aus
dem Leben scheiden will, handelt er nicht in zurechnungsunfähigem
Zustand, sondern unter voller Einsicht in seine Situation und unter sorgfältiger
Abwägung aller für ihn maßgeblichen Umstände.
So wird es jedenfalls in der Regel sein. Im Falle Hackethal z.B. stand
die Verantwortlichkeit des Suizids nach allen dazu vertretenen Lehren außer
Zweifel.
2. Die Abgrenzung von Suizidteilnahme und Tötung auf Verlangen
Nicht unangefochten ist auch die Abgrenzung von Suizidteilnahme
und Tötung auf Verlangen. Sie richtet sich nach überwiegender
Meinung danach, wer die Herrschaft über den letzten, unwiderruflich
zum Tode führenden Akt innehat. Liegt sie beim Suizidenten,
kann die Mitwirkung eines Außenstehenden nur straflose Teilnahme
sein; liegt sie beim Außenstehenden, handelt es sich um eine strafbare
Tötung auf Verlangen. Straflos ist also, wer das Gift mischt
oder den Revolver lädt, mit dem das Opfer sich selbst tötet.
Dagegen ist nach § 216 StGB strafbar, wer einen schwerkranken und
sterbewilligen Menschen auf dessen Verlangen durch eine Injektion oder
durch einen Revolverschuß tötet.
Es wird oft bezweifelt, ob diese Abgrenzung sinnvoll
und praktisch durchführbar sei. Das ist im Prinzip zu bejahen,
auch wenn Grenzfälle, wie überall im Recht, Schwierigkeiten bereiten
können (49). Ihre sachliche Berechtigung findet
sie in der Annahme, daß dem Gesetzgeber die Autonomie des suizidalen
Aktes gegen mögliche Fremdbestimmung nur gesichert erscheint, wenn
der Sterbewillige den Selbstmord höchstpersönlich begeht, d.h.
die «Herrschaft über den todbringenden Moment» in der
Hand behält. Wer sich mit eigener Hand erschießt, hat
den letzten Entschluß durchgestanden und muß seinen Tod selbst
veranworten. Wer sich erschießen läßt, überläßt
einem anderen den Akt unwiderruflicher Entscheidung, vor dessen Vollzug
er selbst vielleicht noch zurückgeschreckt wäre. Hier trägt
der Außenstehende die letzte Verantwortung für den Tod des Opfers
und macht sich nach § 216 StGB strafbar.
Ein Sonderproblem tritt auf, wenn eigenhändige
Tötungsakte des Suizidenten und eines Außenstehenden zeitlich
aufeinanderfolgen. Ein Beispiel dafür bietet der vom BGH entschiedene
Scophedal-Fall
(50). Ein alter, kranker und bettlägeriger
Arzt hatte bei voller geistiger Verantwortlichkeit den Entschluß
gefaßt, sich durch Einspritzung von Scophedal (eines Narkoanalgeticums)
zu töten. Da er befürchtete, ihn könnten dabei die
Kräfte verlassen, bat er seinen Neffen, ihm dabei erforderlichenfalls
zu helfen. Einige Tage später setzte er den Plan in die Tat
um und fiel sofort in tiefen Schlaf. Der hinzukommende Neffe befürchtete,
der Selbstmordversuch werde möglicherweise mißlingen und gab
dem Onkel noch eine weitere Spritze. Dieser starb eine Stunde später.
Möglicherweise wäre der Arzt aber auch schon an der selbst applizierten
Injektion gestorben. Mit Sicherheit läßt sich nur feststellen,
daß er ohne das Eingreifen des Neffen mindestens eine Stunde länger
gelebt hätte.
Der BGH hat mit Zustimmung der h.M. den Neffen ohne
weiteres wegen Tötung auf Verlangen bestraft. Dafür läßt
sich geltend machen, daß er durch eine gezielte, aktive, durch keine
weitere Tätigkeit des Arztes vermittelte Tötungshandlung dessen
Leben um mindestens eine Stunde verkürzt hat und daß auch eine
so geringfügige Lebensverkürzung nach den allgemeinen Regeln
von Kausalität und Zurechnung schon eine Tötungshandlung ist.
Mir scheint es aber näherzuliegen, bei Betrachtung des Gesamtvorganges
nur eine straflose Beihilfe zum Suizid anzunehmen. Denn der Arzt
hatte ja schon mit eigener Hand seinen Tod in einer für ihn nicht
mehr reversiblen Weise ins Werk gesetzt, im Verhältnis zu der das
Nachhelfen des Neffen nur als eine den Geschehensablauf geringfügig
modifizierende Förderung und damit als Beihilfe erscheint.
3. Strafbarkeit wegen unterlassener Rettung des Suizidenten?
Schließlich wird die Straflosigkeit der Teilnahme am Selbstmord der Sache nach durch die Rechtsprechung wieder dadurch reduziert, daß sie den Außenstehenden bei Vorliegen der Tätervoraussetzungen im Falle einer Garantenstellung wegen Totschlags durch Unterlassen und im übrigen wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323 c StGB) bestraft, wenn er den handlungsunfähig gewordenen Suizidenten nicht durch Verbringung ins Krankenhaus oder andere geeignete Maßnahmen rettet. Auf diese Rechtsprechung ist bereits bei Behandlung der passiven Sterbehilfe aus Anlaß des Falles Wittig (oben D I 2) hingewiesen worden. Sie ist aus den dort genannten Gründen abzulehnen. Sie steht zudem mit der Straflosigkeit der aktiven Selbstmordteilnahme im Widerspruch, indem sie auf dem Umweg einer Unterlassungskonstruktion diese doch bestraft. Ungerecht ist das auch deswegen, weil ein Selbstmordgehilfe der Straflosigkeit ohne weiteres dadurch entgehen kann, daß der Suizid unter Umständen vollzogen wird, die eine nachträgliche Rettung ausschließen. So hatte z.B. Hackethal in dem geschilderten Fall (oben E I) ein Mittel gewählt, das nach der Einnahme in kurzer Zeit tödlich wirkte und keine Hilfe mehr zuließ.
1. Die herrschende Meinung: ausnahmslose Strafbarkeit
Demgegenüber ist die Tötung auf Verlangen, soweit sie in einer auf Lebensverkürzung abzielenden, die Herrschaft über den unmittelbar todbringenden Akt einschließenden Begehungstat besteht, nach herrschender Meinung unter allen Umständen strafbar. Mag der Patient also auch noch so große Qualen leiden, dem Tode noch so nahe sein und die erlösende Spritze noch so flehentlich erbitten: Wer sie ihm injiziert, ist auf jeden Fall nach § 216 StGB zu bestrafen. Auch die neuesten Grundsätze der Bundesärztekammer sagen (I, Abs. 2, Satz 3): «Eine gezielte Lebensverkürzung durch Maßnahmen, die den Tod herbeiführen oder das Sterben beschleunigen sollen, ist unzulässig und mit Strafe bedroht».
2. Strafbarkeitseinschränkungen und abweichende Gesetzesvorschläge in der Literatur
Diese Lösung ist keineswegs selbstverständlich
und auch nicht unbestritten. So läßt das niederländische
Recht eine aktive Sterbehilfe unter gewissen verfahrensrechtlichen Sicherungen
zu
(51), und auch in Deutschland vertreten namhafte Autoren
teils schon nach geltendem Recht, teils wenigstens de lege ferenda unter
verschiedenartigen Voraussetzungen eine begrenzte Straffreistellung der
Tötung auf Verlangen. Ich will nur einige hervorstechende Beispiele
aus den letzten Jahren nennen.
So hat Jakobs in einem Vortrag in der Bayerischen
Akademie der Wissenschaften
(52) im Jahre 1998 die Auffassung
vertreten, der Tatbestand des § 216 StGB müsse einschränkend
so ausgelegt werden, daß er nur unvernünftige Tötungen
erfasse. Sei der Todeswunsch des Sterbewilligen aber vernünftig,
so sei sein Selbstbestimmungsrecht genauso zu respektieren wie bei der
indirekten und bei der passiven Euthanasie
(53). In dem
zuvor geschilderten Scophedal-Fall (oben E I 2) kommt er mit Hilfe dieses
Kriteriums im Ergebnis mit mir und gegen die h.L. ebenfalls zu einem Freispruch
des Neffen, aber er nennt seine These mit Recht sowohl radikaler als auch
zurückhaltender (54): «Radikaler ist sie insoweit,
als sie bei einem Verlangen auf einen solchen Anlaß hin den Tatbestand
der Tötung auf Verlangen überhaupt ausscheidet; der Neffe wäre
also auch dann nicht zu bestrafen gewesen, wenn er dem Onkel schon die
erste Dosis des Giftes injiziert hätte. Zurückhaltender
ist die hiesige Lösung freilich, weil nach ihr der Sterbewunsch objektiv
begründet sein muß. Hätte etwa der Onkel aus Liebeskummer
gehandelt, wäre der Neffe auch bei einem Verlauf der geschilderten
Art wegen Tötung auf Verlangen zu bestrafen».
Andere Autoren wie Herzberg (55)
und Merkel (56) sehen zwar bei einer direkten Tötung
auf Wunsch des schwer leidenden Kranken den Tatbestand des § 216 als
erfüllt an, wollen dem Täter aber ggf. einen rechtfertigenden
Notstand nach § 34 StGB zugute halten. Sie erweitern also das
Modell der indirekten auf die direkte aktive Euthanasie und sehen ggf.
auch in ihr ohne weitere Schmerztherapie eine Form der Leidensbeseitigung.
Herzberg geht dabei zurückhaltend vor, indem er mit Hilfe des §
34 StGB hauptsächlich Fälle rechtfertigt, die von der heute h.M.
ohnehin als Beihilfe zum Suizid gewürdigt werden. Bei der erbetenen
tödlichen Injektion zögert er mit einer grundsätzlichen
Ablehnung des § 34, vermeidet aber eine «Festlegung in dieser
brisanten Frage» (57). Merkel geht weiter, indem
er generell sagt (58): «Auch die gezielte aktive
Tötung auf Verlangen ist in Fällen, in denen das (bekundete)
Interesse eines Menschen an der Beendigung seines Leidens sein Lebensinteresse
eindeutig überwiegt, nach § 34 als Notstandshandlung gerechtfertigt
...». Bei der Abwägung im einzelnen legt auch er sich nicht
fest, sondern betont: «Die genauen Kriterien einer solchen Abwägung
sind gewiß schwierig und kaum ohne ausdifferenzierte Kasuistik zu
ermitteln».
Hoerster andererseits (59) schlägt
einen neuen § 216 a StGB vor:
(1) Ein Arzt, der einen schwer und unheilbar leidenden Menschen tötet,
handelt nicht rechtswidrig, wenn der Betroffene die Tötungshandlung
aufgrund freier und reiflicher Überlegung, die er in einem urteilsfähigen
und über seine Situation aufgeklärten Zustand durchgeführt
hat, ausdrücklich wünscht oder wenn, sofern der Betroffene zu
solcher Überlegung nicht imstande ist, die Annahme berechtigt ist,
daß er die Tötungshandlung aufgrund solcher Überlegung
für den gegebenen Fall ausdrücklich wünschen würde.
(2) Das Vorliegen der in Abs. 1 genannten Voraussetzungen führt
nur dann zum Ausschluß der Rechtswidrigkeit, wenn es von dem Arzt,
der die Tötungshandlung vornimmt, sowie von einem weiteren Arzt in
begründeter Form schriftlich dokumentiert worden ist.
Auf einer ähnlichen Linie liegen auch die Vorschläge des Theologen Hans Küng (60), der auf einen expliziten Gesetzgebungsvorschlag verzichtet und meint, es sei «in erster Linie Sache der Ärzte und Juristen, die konkreten Richtlinien zur Behebung der offensichtlichen Rechtsunsicherheit zu erarbeiten».
Wie soll man nun zu alledem Stellung nehmen?
Eine konkrete Durchsetzungschance haben derartige Vorschläge in Deutschland
zur Zeit nicht, weil Ärzte, Juristen und Theologen, aber auch einflußreiche
Verbände, wie die Deutsche Hospizstiftung, eine Sterbehilfe durch
aktive Euthanasie im Sinne direkter Tötung durchweg für indiskutabel
halten. Der Heilauftrag des Arztes, das Tötungstabu, diffuse
Ängste vor einem «Dammbruch» und die Erinnerung an das
- freilich ganz andere Sachverhalte betreffende (61)-
sog. Euthanasieprogramm der Nazizeit bilden zu starke Barrieren für
einen solchen Schritt.
Aber auch wenn man mit guten Gründen die Bedeutung
solcher Widerstände relativiert und das humane Interesse an der Beendigung
unerträglichen Leidens und eines menschenwürdigen Sterbens betont,
das hinter diesen Minderheitsansichten steht, scheinen mir die Bedenken
gegen eine weitergehende Zulassung aktiver Sterbehilfe zu überwiegen
(62). Wollte man, wie es die angeführten Autoren
tun, schon nach geltendem Recht auf die Vernünftigkeit des Todeswunsches
oder auf eine Interessenabwägung abstellen, so schafft man eine Rechtsunsicherheit,
die man keinem Arzt und keinem Patienten zumuten kann. Der Umstand,
daß die Befürworter solcher Regelungen selbst keine konkretisierenden
Lösungen vorweisen können, zeigt das deutlich genug. Auch
bietet die Vieldeutigkeit von Kriterien wie «Vernunft» und
«Interesse» ein Einfallstor auch für bedenkliche Tendenzen,
das man besser nicht öffnen sollte.
Eine gesetzliche Regelung etwa im Sinne Hoersters
ist solchen Bedenken wegen ihres Bestehens auf einer dokumentierten Begründung
und der Zuziehung eines zweiten Arztes weit weniger ausgesetzt. Aber
ist ein solcher Schritt, der den Arzt, der bisher allein zum Heilen und
Lindern verpflichtet ist, nunmehr auch zum Exekutor quasi amtlicher Tötungen
machen und damit sein Berufsbild drastisch verändern würde, wirklich
erforderlich?
Die Gegner der aktiven Sterbehilfe weisen darauf
hin, daß nach Auskunft von Ärzten Patienten nur selten um ihre
Tötung bitten und daß man solche Todeswünsche noch weiter
reduzieren könne, wenn man durch eine Sterbebegleitung in Gestalt
verständnisvoller menschlicher Zuwendung und durch eine wirksame Schmerztherapie
die Motive für ein Verlangen nach vorzeitiger Tötung (Verlassensein
und unerträgliches Leiden) beseitige (63).
Man kann nicht ernstlich bestreiten, daß in
einer Kombination von fürsorgender Sterbebegleitung und wirksamer
Schmerztherapie der gegenüber einer Tötung auf Verlangen bessere
Weg der Behandlung tödlich Leidender liegt (64).
Auch ist die Befürchtung nicht abwegig, daß eine (begrenzte)
Zulassung der Tötung auf Verlangen dem Ausbau der in Deutschland ohnehin
rückständigen Schmerztherapie und einer große menschliche
Anforderungen stellenden intensiven Sterbebegleitung eher abträglich
sein könnte, weil ein scheinbar einfacherer Weg zur Verfügung
steht. Das wäre keine humane Lösung.
Andererseits können auch heute noch keineswegs
alle qualvollen Schmerzzustände in ausreichendem Maße beherrscht
werden (65); und daß Fälle eines dringlichen
und verständlichen Sterbewunsches tatsächlich vorkommen, zeigen
schon die von mir aus der Rechtsprechung beigebrachten Beispiele zur Genüge.
Aber man muß bedenken, daß nach deutschem Recht - anders als
in den meisten fremden Rechtsordnungen - die Beihilfe zum Suizid immer
schon straflos gewesen ist. Das von Hackethal eingschlagene Verfahren
(vgl. oben E I) bleibt also als letzter Ausweg bereits nach geltendem Recht
möglich, wenn alle Mittel, einen dringlichen Sterbewunsch überflüssig
zu machen, fehlschlagen. Wenn in einem solchen Falle der Sterbewillige
das Glas selber leert, dessen Inhalt ihm einen sanften Tod beschert, hat
er den letzten Schritt allein und in eigener Person getan. Das scheint
mir immer noch erträglicher als eine gesetzlich institutionalisierte,
prozedural geregelte Fremdtötung.
Wenn man dies berücksichtigt, bleiben für
eine legitime aktive Sterbehilfe nur noch seltene Extremfälle übrig,
in denen ein todkranker, schwer leidender und sterbewilliger Mensch weder
von seinen Qualen befreit werden kann noch in der Lage ist, seinem Leben
selbst ein Ende zu setzen. So kann es sich etwa bei einem vollständig
gelähmten, von Erstickung bedrohten Menschen verhalten. Ein
Sachverhalt wie der (oben D I 4) vom LG Ravensburg entschiedene scheint
mir in diese Kategorie zu gehören. Der Ehemann in diesem Fall,
der seine Frau durch das Abstellen des Beatmungsgerätes zum Tode verholfen
hat, würde auch dann keine Strafe verdienen, wenn er sich statt eines
technischen Behandlungsabbruchs des Mittels der direkten Tötung hätte
bedienen müssen.
Das Beispiel zeigt schon, daß sich Grenzsituationen
dieser Art nicht auf Ärzte beschränken lassen. Viel diskutiert
wird ein (möglicherweise fiktiver) Fall, in dem ein Fahrer in einem
brennenden LKW unrettbar eingeklemmt war und, um dem sonst unvermeidbaren
qualvollen Verbrennen zu entgehen, einen anderen um seine Tötung bat.
Auch hier würde eine Bestrafung des Helfers wegen Tötung auf
Verlangen von niemandem verstanden werden.
Für gänzlich ausweglose Situationen solcher Art, in denen
kein anderes Mittel zur Verfügung steht, hat der AlternativEntwurf
(66)
einen § 216 II mit folgendem Wortlaut vorgeschlagen:
«Das Gericht kann unter den Voraussetzungen
des Abs. 1 (d.h. bei der Tötung auf Verlangen, Zusatz vom Verf.) von
Strafe absehen, wenn die Tötung der Beendigung eines schwersten, vom
Betroffenen nicht mehr zu ertragenden Leidenszustandes dient, der nicht
durch andere Maßnahmen behoben oder gelindert werden kann».
Der Deutsche Juristentag hat sich diesem Vorschlag
im Jahre 1986 angeschlossen
(67). Er würde als äußerste
Möglichkeit die Straffreistellung bei Tötung auf Verlangen zulassen,
gleichzeitig aber deutlich machen, daß alle anderen Mittel, die einem
tödlich Kranken helfen können, ausgeschöpft sein müssen.
Aus den geschilderten Gründen denke ich, daß eine solche Lösung
einer weitergehenden Straffreistellung der Tötung auf Verlangen vorzuziehen
ist. In solchen Extremfällen läßt sich auch ein auf
eine Gewissensentscheidung des Handelnden gestützter Verantwortungsausschluß
begründen (68).
Ein wenig geklärtes Sonderproblem betrifft das
Sterbenlassen von schwer mißgebildeten Neugeborenen (69).
Um einen eigentlichen Fall individueller Sterbehilfe handelt es sich dabei
nicht, weil das neugeborene Kind keinen Willen hat und auch ein mutmaßlicher
Wille nicht eruierbar ist. Es bleibt nur die Möglichkeit, eine
Behandlungseinstellung im Wege des rechtfertigenden Notstandes zuzulassen,
wenn ein schwerstgeschädigter neugeborener Mensch entweder ein Bewußtsein
niemals erlangen wird (70) oder wenn nach objektivem
Urteil die Schmerzen und Behinderungen, denen ein solcher Mensch unterworfen
ist, sein kreatürliches Lebensinteresse deutlich überwiegen.
Ein solcher Maßstab hat den Vorteil, rein eugenische Ziele aus diesem
Bereich fernzuhalten (71). Statt dessen soll es darauf
ankommen, was nach bestem Wissen und Gewissen dem Interesse des Neugeborenen
am ehesten entspricht. Bei dieser Abwägung wird auch die Einstellung
der Eltern einzubeziehen sein. Außerdem muß man sich
darüber klar sein, daß eine Entscheidung für die Aufrechterhaltung
des Lebens schwerstbehinderter Neugeborener nur in dem Maße möglich
ist, wie die Allgemeinheit bereit ist, die daraus entstehenden Lasten mitzutragen
und dadurch den Eltern solcher Kinder ein Leben zu ermöglichen, an
dem sie nicht zerbrechen (72).
Die konkreten Aussagen, die in den neuen Grundsätzen
der Bundesärztekammer formuliert werden, scheinen mir mit diesen Grundsätzen
vereinbar zu sein. Es heißt dort (II, Abs. 2): «Bei
Neugeborenen mit schwersten Fehlbildungen oder schweren Stoffwechselstörungen,
bei denen keine Aussicht auf Heilung oder Besserung besteht, kann nach
hinreichender Diagnostik und im Einvernehmen mit den Eltern eine lebenserhaltende
Behandlung, die ausgefallene oder ungenügende Vitalfunktion ersetzt,
unterlassen oder nicht weitergeführt werden. Gleiches gilt für
extrem unreife Kinder, deren unausweichliches Sterben abzusehen ist, und
für Neugeborene, die schwerste Zerstörungen des Gehirns erlitten
haben. Eine weniger schwere Schädigung ist kein Grund zur Vorenthaltung
oder zum Abbruch lebenserhaltender Ma?nahmen, auch dann nicht, wenn Eltern
dies fordern».
G. Die «Vernichtung lebensunwerten Lebens»
Ganz au?erhalb jeder erwägenswerten Form von
Sterbehilfe liegt die sog. Vernichtung lebensuwerten Lebens. Es geht dabei
um die Tötung unheilbarer, aber lebensfähiger und –williger Geisteskranker
im Interesse der Allgemeinheit. Die Diskussion darüber war angesto?en
worden durch die bis heute unrühmlich bekannte Schrift von Binding/Hoche
aus dem Jahre 1920: «Die Freigabe der Vernichtung lebensuwerten Lebens».
Ihre Vorschläge sind vor 1933 überwiegend auf Ablehnung gesto?en
und später von den Nationalsozialisten aufgegriffen worden. Eine gesetzliche
Zulassung derartiger Tötungen ist aber auch in den Jahren 1933-1945
nicht erfolg. Das sog. Euthanasieprogramm des nationalsozialistischen Staates,
das in der Praxis über alle von einzelnen Autoren je geä?erten
Vorschläge erheblich hinausging, beruhte auf einem Geheimerla? Hitlers,
der auf den 1. September 1939 zurückdatiert worden war. Er mu?te schon
im August 1941 wegen der Unruhe und Empörung weiter Bevölkerungskreise
über die inzwischen bekannt gewordene Praxis wieder abgebrochen werden.
Nach geltendem Recht wäre ein auf derartige
Tötungen abzielendes Gesetz wegen Versto?es gegen die Lebensschutzgarantie
des Art. 2 II GG Verfassungswidrig und nichtig und wird selbstverständlich
auch nirgends gefordert.
Die vorstehende Ubersicht mag gezeigt haben, auf einem wie außerordentlich komplizierten und umstrittenen Terrain wir uns bei der strafrechtlichen Beurteilung der Sterbehilfe bewegen. Eine «befriedigende Regelung», die wir Juristen in anderen Bereichen, und manchmal auch mit Erfolg, anstreben, kann es hier nicht geben; denn das qualvolle Sterben eines Menschen bleibt immer schrecklich. Aber man kann doch versuchen, das Recht so einzurichten, daß es im Rahmen des möglichen Hilfe gestattet und gebietet oder ggf. wenigstens nur das geringere Übel toleriert. Ich habe versucht, dies zu zeigen, und es hat sich dabei ergeben, daß die vorgeschlagenen Lösungen zum größeren Teil schon durch eine Auslegung des geltenden Rechts erzielt werden können. Aber der Leser wird auch bemerkt haben, daß das Netzwerk von Konstellationen und Regeln verwickelt, zum Teil umstritten und selbst für einen Fachmann nicht leicht zu durchschauen ist. Eine gesetzliche Regelung der Materie, wie sie der - heute freilich weiter verbesserungsfähige - Alternativ-Entwurf vorgeschlagen hat, könnte hier größere Klarheit und Rechtssicherheit bringen.
Fußnoten:
(1) Die neuen «Grundsätze der
Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung» vom
11.9.1998, NJW 1998, 3406, versuchen den vielfach emotional besetzten Ausdruck
'Sterbehilfe' zu vermeiden. Doch verschleiert der Begriff der 'Begleitung',
daß dabei durchaus ein den Tod förderndes ärztliches Verhalten
möglich ist. Auch die Verwendung des Begriffes 'Euthanasie'
ist nicht unumstritten. Einerseits ist der Ausdruck für manche
durch das sog. Euthanasieprogramm der nationalsozialistischen Zeit,
das die Tötung von Geisteskranken zum Ziel hatte diskreditiert.
Andererseits wollen manche das Wort auf die sog. Hilfe beim Sterben,
also den Fall einer Schmerzlinderung ohne lebensverkürzende Wirkung,
beschränken. Es lohnt sich nicht, über solche terminologischen
Fragen zu streiten. Hier wird der Begriff so gebraucht., wie es oben
im Text angegeben ist.
(2) Vgl. etwa die Fn. 1 genannten 'Grundsätze
der Bundesärztekammern.
(3) Vgl. neuestens etwa Hoerster, Sterbehilfe
im säkularen Staat.
(4) Dazu Jens/Küng, Menschenwürdig sterben.
(5) Vgl. dazu Fn. 1.
(6) Dazu mit ausführlichen Nachweisen
näher Kutzner, in: Salger-FS, 663 ff.
(7) Wie Fn. 1, I, Abs. 2, Satz
2.
(8) BGHSt 42, 305 mit Belegen für
die eine oder andere Meinung. Herzberg, NJW 1996, 3043, Fn. 1, liefert
umfassende Nachweise zur Rechtfertigungslösung, während er selbst
einen Tatbestandsausschluß bejaht. Merkel, JZ 1996, 1147 ff.,
hat zuletzt die Rechtfertigungslösung wieder ausführlich - allerdings
unter Anwendung von § 34 begründet. Weitere Nachweise zur Tatbestandslösung
bei Tröndle, vor 211, Rn. 17.
(9) So im Ergebnis schon Roxin, in: Blaha
u.a. (Hrsg.), Schutz des Lebens Recht auf Tod, 87; ders., in: 140 Jahre
Goltdammer's Archiv, 189.
(10) Vgl. dazu Verrel, JZ 1996, 226f.;
Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, 104, Fn. 132;
Niedermair, Körperverletzung mit Einwilligung und die Guten Sitten,
140, bei und in Fn. 531.
(11) Herzberg, NJW 1996, 3048.
(12 ) Baumann u.a., (Hrsg.), Alternativ-Entwurf
eines Gesetzes über Sterbehilfe, § 214 a, Anm. 4.
(13) Wie Fn. 12, § 214 a, Anm. 2.
(14) Wie Fn. 12, § 214 a, Anm.
3.
(15) BGHSt 42, 301 (305).
(16) So versteht Schöch, NStZ 1997,
411, den BGH, wenngleich auch er im Urteil die 'letzte Klarheit' vermißt.
(17) Vgl. Sch/Sch-Eser, vor §
211, Rn. 26; Schöch, NStZ 1997, 410 f.
(18) Für die Beschränkung
der Rechtfertigung auf den dolus eventualis zuletzt Schöch, NStZ 1997,
411.
(19) Zu den damit verbundenen Grenz-
und Streitfragen siehe unten E I, 2; II.
(20) Vgl. dazu Jens, in: Jens/Küng,
wie Fn. 4, 111 ff.
(21) BVerfGE 32, 98 ff.
(22) BGHSt 32, 367 ff., 368, 380 f.
(23) Vgl. dazu nur mit umfassenden Schrifttumsnachweisen
Sch/Sch-Eser, vor § 211, Rn. 41-43.
(24) BGHSt 6, 147 ff. (Großer
Senat). Auch BGHSt 32, 375 f., läßt immerhin «dahinstehen»,
«ob die gegebene Begründung heute noch in vollem Umfang anerkannt
werden kann».
(25) In NStZ 1988, 127 sagt der 2. Strafsenat
des BGH, daß er «dazu neigt, einem ernsthaften, freiverantwortlich
gefaßten Selbsttötungsentschluß eine stärkere rechtliche
Bedeutung beizumessen», als dies in BGHSt 32, 367 ff. geschehen sei.
(26) Zur näheren Begründung
Roxin, in: Engisch-FS, 395 ff.; weitere Nachweise zum Streitstand bei Sch/Sch-Eser,
vor § 211, Rn. 32.
(27) Näher Roxin, NStZ 1987, 349.
(28) Sch/Sch-Eser, Rn. 32 vor §
211.
(29) NStZ 1987, 229 mit Aufsatz Roxin,
NStZ 1987, 348.
(30) BGHSt 40, 257, 260.
(31) NJW 1998, 2749 m. Anm. Knieper,
2720; sowie Verrel, JR 1999, 5.
(32) Vgl. Verrel, JZ 1996, 229, Fn. 63.
(33) Wie Fn. 12, 17; ebenso Roxin, in:
Blaha u.a., wie Fn. 9, 89.
(34) Schöch, NStZ 1995, 156.
(35)Auch dazu Schöch, NStZ 1995,
155; ferner Verrel/Schmidt, Frankfurter Rundschau, 6.8.1998, S. 16.
(36) Wie Fn. 1, V. Abs. 2 und 1 mit
konkretisierenden Maßgaben.
(37) Wie Fn. 1, III., Abs. 2, S 1.
(38) Hier und im folgenden: FAZ vom
14.9.98 in Wiedergabe von Äußerungen gegenüber der Zeitschrift
«Focus».
(39) Ich zitiere einen Bericht der Süddeutschen
Zeitung vom 12./13.9.1998, S. 1.
(40) Merkel, ZStW 107 (1995), 545 ff.
(573).
(41) Wofür Merkel auf amerikanische
Patientenbefragungen verweist (wie Fn. 39, 559).
(42) Hoerster, wie Fn. 3, 87 ff. (90).
(43) Vgl. Merkel, ZStW 107 (1995),
572.
(44) Vgl. oben bei Fn. 32.
(45) Das wird in der Literatur nur ganz
vereinzelt und unter fast allgemeiner Ablehnung bestritten. Näher
dazu Roxin, in: Dreher-FS, 331 ff.
(46) Vgl. dazu das lesenswerte Urteil
des OLG München, NJW 1987, 2940, das durch einen Aufsatz von Herzberg,
NJW 1986, 1635 ff. maßgeblich beeinflußt worden ist.
(47) Eine nähere Darstellung findet
sich bei Roxin, NStZ 1987, 345 ff.; ders in: Pohlmeier (Hrsg.), Selbstmordverhütung,
85 ff.; ders., in: 140 Jahre Goltdammer's Archiv für Strafrecht, 177 ff.
(48) Näher dazu Roxin, in: 140
Jahre Goltdammer's Archiv für Strafrecht, 178 f .
(49) Eine Auseinandersetzung mit solchen
schwierigen Grenzfällen findet sich bei Roxin, in: 140 Jahre Goltdammer's
Archiv für Strafrecht, 183-186.
(50) NStZ 1987, 365 mit Aufsatz Roxin,
NStZ 1987, 345.
(51) Vgl. Scholten, in: Eser/Koch
(Hrsg.), Materialien zur Sterbehilfe, Landesbericht Niederlande, 451.
(52) Jakobs, Tötung auf Verlangen,
Euthanasie und Strafrechtssystem, 25 f.
(53) Wie Fn. 51, 29 ff.
(54) Wie Fn. 51, 31.
(55) Herzberg, NJW 1986, 1635 ff. (1638 ff.).
(56) Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.),
Zur Debatte über Euthanasie, 71 ff.
(57) Herzberg, NJW 1986, 1640.
(58) Merkel, hier und im folgenden wie
Fn. 55, 97.
(59) Hoerster, wie Fn. 3, 169 f.
(60) Küng, wie Fn. 4, 65 ff. (66).
(61) Vgl. unten G.
(62) Auch die Parlamentarische Versammlung
des Europarates in Straßburg hat sich im Juni 1999 gegen eine Legalisierung
der aktiven Sterbehilfe ausgesprochen (bei gleichzeitiger Anerkennung der
indirekten Sterbehilfe).
(63) Alternativ-Entwurf, wie Fn. 12,
34; aber auch Hoerster, wie Fn. 3, 137 ff. Vgl. zum ganzen auch Schreiber,
Behandlungsabbruch und Sterbehilfe, in: Bottke u.a., Lebensverlängerung
aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht, 1995, 129 ff. (141 ff.).
(64) So selbst Hoerster, wie Fn. 3,
148.
(65) Vgl. dazu Hoerster, wie Fn. 3,
141 f.
(66) Wie Fn. 12, S. 34.
(67) Vgl. NJW 1986, 3065, 3073
f.
(68) Roxin, AT I (3ª), §
22, Rn. 118; näher zur Gewissenstat und auch zu dieser Konstellation
Roxin, in: Maihofer-FS, 389 ff. Ob sogar eine Rechtfertigung des
Handelnden in Betracht gezogen werden kann, bedarf weiterer Diskussion.
(69) Aus dem älteren Schrifttum
sind besonders wichtig die Arbeiten von Arthur Kaufmann, JZ 1982, 481 ff.,
und Hanack, MedR 1985, 33 ff. Die erste umfassende monographische
Arbeit liefert jetzt Merkel, «Früheutanasie», 1999.
(70) Auf diesen Gesichtspunkt stellt
der Alternativ-Entwurf § 214 I, Nr. 2 ab (wie Fn. 12, S. 13
mit Begr. S. 20)
(71) Vgl. aber Sch/Sch-Eser, vor §
211, Rn. 32 a: «Klar sollte sein, daß es sich bei solcher «Früheuthanasie»
schon nicht mehr um individuelle Sterbehilfe, sondern um gesellschaftsnützliche
Eugenik handelt».
(72) Vgl. dazu Sch/Sch-Eser, vor § 211,
Rn. 32 a.
Pulse aquí si desea consultar el texto en su versión traducida al español.
TRATAMIENTO JURÍDICO-PENAL
DE LA EUTANASIA
Claus Roxin
RESUMEN: En primer lugar, el artículo trata los casos que Roxin denomina de “eutanasia pura” en los que la intervención médica se dirige a un alivio de los sufrimientos del paciente sin provocar simultáneamente un acortamiento de la vida. Las únicas hipótesis que al respecto resultan problemáticas son aquellas en las que la intervención facultativa se lleva a cabo en contra de la voluntad expresa del paciente o bien allí donde la actuación medica es omitida, también en contra de la voluntad de aquél. En segundo lugar, Roxin analiza los supuestos de eutanasia activa indirecta: el autor parte de su aceptación básica, de acuerdo con la doctrina y jurisprudencia alemanas, y pasa a reflexionar acerca de su naturaleza jurídica, su dimensión temporal, sus presupuestos fácticos y la forma del dolo que se manifiesta en estos casos. En tercer lugar, el autor se ocupa del tratamiento de la eutanasia pasiva. En este tema aborda, básicamente, tres grupos de casos: no adopción o cese de medidas que alargan la vida por deseo del paciente, omisión de medidas que mantienen la vida en contra del deseo del paciente y omisión de medidas que mantienen la vida en un momento en el que el paciente es incapaz de declarar. En el cuarto apartado se examinan algunos de los aspectos más relevantes de la eutanasia activa, comenzando por el análisis de la impunidad de la participación en el suicidio ajeno que postula el StGB alemán y que solo resulta punible cuando el sujeto, a petición de la víctima, pasa a desarrollar actos ejecutivos en la muerte –consentida- de ella victima (“Totung auf Verlangen” ; parágrafo 216 StGB). Esta última figura y, sobre todo, sus límites, son también objeto de un detenido análisis. El estudio termina abordando brevemente el tratamiento a dar a los casos de recién nacidos con graves deformaciones y a los casos, tristemente celebres, de exterminio de enfermos mentales durante la Alemania nazi con la excusa de que eran “vidas sin valor”.
PALABRAS CLAVES: eutanasia, suicidio, cooperación, homicidio a petición, interrupción de tratamiento.
FECHA DE PUBLICACIÓN EN RECPC: julio de 1999
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